polylog 26
Winter 2011
selbstkultivierung
Politik und Kritik
im zeitgenössischen Konfuzianismus
Herausgeber des Thementeils: Fabian Heubel
THEMA
Kai Marchal
Moralgesetz, Lebenszusammenhänge und die Verborgenheit eines liberalen Gemeinwesens.
Überlegungen zum Projekt des zeitgenössischen Neokonfuzianismus
Kai Marchal nähert sich dem Thema auf dem Wege einer Erörterung der Geschichte der Adaption und Anverwandlung liberaler Theorien in China, um diese sodann am Beispiel des komplexen Verhältnisses von zeitgenössischem Neokonfuzianismus und demokratischer Politik zu vertiefen. Móu Zōngsāns 牟宗三 Rezeption und Transformation der Philosophie Kants, vor allem seine Interpretation des Begriffs der Autonomie, stehen dabei im Zentrum.
Ralph Weber
Konfuzianische Selbstkultivierung als Philosophem und Politikum
Ralph Webers Beitrag setzt ein mit der Situation konfuzianischer Selbstkultivierung im Kontext aktueller politischer Entwicklungen der VR China. Sein Beitrag zeigt, wie schwer es führenden Vertretern der neukonfuzianischen Bewegung fällt, Selbstkultivierung kritisch zu denken, das heißt, nicht bloß als ideologischen Ersatz für die schwindende Legitimität des Marxismus-Leninismus im Rahmen des autoritären Regimes der kommunistischen Partei zu verstehen.
Rafael Suter
Erkenntniskritik und Selbstreflexion: Kritik als Praxis
Überlegungen zu einem neukonfuzianischen Begriff der »Kritik« anhand des Frühwerks Móu Zongsans (1909–1995)
Mit Blick auf Móu Zōngsāns erkenntnistheoretische Schriften untersucht Rafael Suters die Frage, ob es diesem gelungen ist, die kritische Philosophie Kants mit der konfuzianischen so zu vermitteln, dass sich von einer kritischen Transformation konfuzianischen Denkens sprechen läßt, oder ob er im Versuch, dies zu tun, nicht letztlich in einen kritikfernen Intuitionismus zurückgefallen ist, gegen den der Kritizismus Kants doch gerade gerichtet war. Aus der Konstellation, die diese Untersuchung mit den beiden vorhergehenden bildet, wird deutlich, dass dies eine Frage von beträchtlicher moralphilosophischer und auch politischer Relevanz ist.
Fabian Heubel
Welche Kriterien kommen eigentlich ins Spiel, wenn »wir« uns fragen, ob das Denken von Móu Zōngsān dem modernen Maßstab von Kritik entspricht? Fabian Heubel versucht dieser Frage nachzugehen, indem er das im zeitgenössischen Neokonfuzianismus wichtige Motiv der immanenten Transzendenz in das Spannungsfeld von europäischer Sinologie und kritischer Theorie stellt (dabei kritisiert er insbesondere François Julliens Interpretation chinesischen Denkens). Das Klischee vom Konfuzianismus als unkritisch und konformistisch wird mit der Spannung zwischen Denken der Immanenz einerseits und Kritik andererseits in Verbindung gebracht, die das Werk von Michel Foucault, Gilles Deleuze und Theodor W. Adorno geprägt hat.
FORUM
Maria José Canelo