Nausikaa Schirilla
Einleitung: Frau & Kultur
Wenn wir nach einer philosophischen Konzeptualisierung von Frausein im Kontext unterschiedlicher Kulturen fragen, so sehen wir eine Reihe von Einwänden und Infragestellungen dieser Problematik, die nicht alle philosophischer Natur sind, aber Teil der Fragestellung. Um diese Einwände und Infragestellungen geht es in diesem Band.
Feministisches Philosophieren hat die Analyse der verschiedenen Formen des Ausschlusses von Frauen aus bzw. in der Philosophie mit zentralen Begrifflichkeiten der philosophischen Tradition in Verbindung gebracht und damit universale Kategorien wie die Vernunft, das Subjekt etc. ihrer postulierten Neutralität und Reinheit beraubt. Sie hat einen androzentrischen Bias nachgewiesen und gezeigt, wie scheinbar neutrale Konzepte an der Perpetuierung von Herrschaft im Geschlechterverhältnis beteiligt sind. Feministisches Denken ist weiter darüberhinausgegangen, hat die Frauenfrage an das bipolare Geschlechterverhältnis geknüpft und die Bipolarität des Geschlechterverhältnis nicht nur in seiner Herrschaftsdimension, sondern in seinen Grundstrukturen selbst in Frage gestellt. Viele neuere Theoretikerinnen weisen Wege auf, Geschlecht als Konstruktion bzw. als Ergebnis diskursiver Praktiken zu begreifen.
Interkulturelles Philosophieren kritisiert einen eurozentrischen Universalismus, d.h. die Gleichsetzung von Philosophie überhaupt mit abendländischer Philosophie und öffnet den Blick für eine Vielfalt oder Beweglichkeit philosophischer Grundbegriffe. Dies beinhaltet eine radikale Infragestellung und Weiterentwicklung traditioneller philosophischer Kategorien. In interkultureller Perspektive rückt die Frage nach kultureller Differenz und vielfältigem Sprechen in den Vordergrund. Nun ist aber vor allem von postkolonialen Kritikerinnen die Frage nach der kulturellen Differenz bzw. kulturellen Andersartigkeit aufgelöst worden und verwandelt worden in die Frage nach diskursiven Praktiken, in denen Unterschiedlichkeit und damit Höher- und Minderwertigkeit erzeugt werden. Es waren ferner vor allem postkoloniale TheoretikerInnen, schwarze Frauenforscherinnen oder Migrantinnen/Mestizas, die für die feministische Theorie Parallelen in der Konstruktion und Abwertung kultureller und geschlechtlicher Differenzen thematisierten und aus der Perspektive marginalisierter Frauen die vielfältigen Ausschließungsmechanismen geschlechtlicher und kultureller Diskurse und internationaler Herrschaftsstrukturen thematisierten.
Es stehen zentrale Kategorien der Theoriebildung selbst zur Debatte: Subjekt, Differenz, Geschlecht, Konstruktion. Es stellt sich die Frage, wie ein wie auch immer vielfältiges Subjekt Frau einzuordnen ist in vielfältige Prozesse der Subjektkonstitution. Gibt es ein, viele, unendlich viele Subjekte Frau? Macht es im interkulturellen Kontext überhaupt Sinn, vom Subjekt Frau zu sprechen? Vor allem ausgehend von postkolonialen Theoretikerinnen und schwarzen Feministinnen ist der Begriff der Differenz aufgelöst und dynamisiert worden. Es ist nicht möglich, einheitliche Zuschreibungen männlich-weiblich/Westen-Süden etc. zu machen, da diese in sich differenziert sind, es interne Herrschaftsverhältnisse gibt und Zuschreibungen wie männlich, weiblich etc. auch kulturell varieren. Es ist daher notwendig, den Begriff der Differenz mit dem der Dominanz zu verbinden, denn in der Setzung von Differenz kommen Dominanzverhältnisse zum Ausdruck. Welche nicht-theoretischen Dominanzverhältnisse sind hier berührt – Struktur der Weltwirtschaft, globaler Kapitalismus etc.? Durch spezifische Diskurse werden Vorstellungen vom Menschen, vom Handeln, von Befreiung etc. normiert und auf andere Gesellschaften übertragen. Ein aus der westlichen Kultur und Gesellschaft gewachsenes Verständnis von Frau und Emanzipation hat die Analyse von Frauen in anderen Gesellschaften und deren Repräsentationen beherrscht. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen kultureller Differenz und Dominanz? An welchen Schnittstellen von Macht und Wissen werden Ausgrenzungspraktiken wirksam? Wo werden kulturelle Unterschiede, die nach der Kritik am Zusammenhang von Differenz und Dominanz real bestehen, philosophisch relevant. Kann es eine Vielfalt philosophischer Theoriebildungen geben? Eine Kritik der partikularen Konnotationen universaler Begriffe fragt ferner nach der Möglichkeit anderer, neuer, anders begründeter Universalien. Haben Universalien einen Platz in der Theorie gegen, neben oder mit dem Begriff der Vielfalt?
Überwiegend im Rekurs auf Frauen, die die genannten kritischen Einwände machten, werden wir versuchen, Antworten auf diese Fragen zu finden.
Rosi Braidotti zeigt Schnittstellen zwischen dem dekonstruktiven Ansatz in der Frauenforschung und black studies bzw. postkolonialer Theorie auf. Sie spricht sie von einer Kolonisierung der Differenz. Braidotti möchte die, vor allem aus den black studies kommenden, Impulse für verändernde Werte und neue Perspektiven auch für die feministische Debatte nutzbar machen. Sie entwirft eine Politik der Diversität anstelle von Differenz.
Encarnación Gutierrez Rodríguez zeigt, daß neuere Tendenzen feministischer Theorie, Fragen des Rassismus und Kolonialismus ausgrenzen und nicht als integralen Bestandteil ihrer Theoriebildung begreifen, obwohl sie praktisch über das theoretische Instrumentarium dazu verfügen. Gutierrez analysiert entsprechend die Begriffe des Subjekts, der Konstruktion und der Differenz. Infolgedessen spricht sie von Geschlecht als einer »geographisch-politischen Kategorie«.
Gayatri C. Spivak hat in ihrem berühmten Artikel Can the Subaltern Speak? gesagt, daß Subalterne nicht sprechen können. Sie sprechen vielleicht, aber nicht als autonome Subjekte aufgrund der Herrschaftsbedingungen, denen sie in den nachkolonialen Ländern unterworfen sind, und sie werden aufgrund der Herrschaft, die von den westlichen Apparaten der Wissensproduktion ausgeübt werden, nicht gehört. In dem Beitrag Frau in der Differenz interpretiert Spivak eine (von ihr selbst übersetzte) Geschichte der bengalischen Schriftstellerin und politischen Aktivistin Mahasveta Devi, die in genialer Weise Subalterne sprechen läßt, ohne diese zum autonomen Subjekt zu machen. Sie zeigt, wie Frauen, die praktisch als Sklavinnen arbeiten, eingebunden sind in eine weltweite Hierarchie, die symbolischer und materieller Natur ist. Diese Hierarchie wird von der globalen Herrschaftsstruktur des Kapitalismus ebenso gestaltet wie in den kolonialen kulturellen Repräsentationen. Spivak beantwortet hier in einem gewissen Sinne alle der eingangs genannten Fragen. Sie spricht von Frauen, die abgetrennt sind, in der Differenz, vom Körper der Frauen, also von Frauen, die etwas frauenspezifisches teilen wie Sexualität und Mutterschaft, ohne daß damit etwas wesenhaftes über sie oder diese Spezifika ausgesagt würde. Spivak dekonstruiert koloniale und nachkoloniale Narrative. Sie zeigt, daß es aus der Perspektive der Subalternen viele über sie herrschende Zentren gibt, nicht nur den »Westen« sondern beispielsweise auch den eigenen Nationalstaat, ohne zu negieren, daß dieser auch aus dem Kolonialismus entstanden ist. Daraus ergibt sich eine Vielfalt von Differenzen in der Verortung von Frauen – Frau ist an einem Ort vieler Differenzen und dennoch »in difference«.
Ursula Baatz sieht Parallelen zwischen einem dekonstruktiven Feminismus und dem Buddhismus. Dies gilt vor allem für die erkenntniskritische Dimension, die auf eine Auflöung wesensmäßiger Zuschreibungen hinausläuft. Dennoch ist der Buddhismus nicht emanzipatorisch feministisch zu rezipieren, da die Entmaterialisierung, die für Butler aus der Perspektive der Geschlechterdifferenz im Vordergrund steht, im Buddhismus eher eine spiritualistische Dimension hat und die realen patriarchalen Traditionen nicht tangiert.
Nkiru Nzegwu analysiert am Beispiel einer Ausstellung in den USA über nigerianische Kunst das Wirken sexistischer und rassistischer Herrschafts- und Ausschließungspaktiken und fordert eine neue Epistemologie, die dominante Logiken und imperiale Narrative aufspürt. Sie zeigt, wie sexistische und koloniale Muster reproduziert werden.